Ich duze mich ja auch viel und gerne. Doch, wirklich! Da, wo ich es passend finde. Zum Beispiel bei Parties im Freundeskreis, in meinem Frauen-Netzwerk, im Fitness-Studio, im Karneval und vor dem Kneipentresen sind in meinen Augen auch alle gleich. Kurz: Überall da, wo man gemeinsame Interessen hat, sich auf Augenhöhe begegnet und wo niemand (viel) an mir verdient. Was für mich gar nicht geht, ist die Kombi Duzen und Teures. Vielleicht liegt das an Ikea. Da habe ich schon in meiner Kindheit gelernt, dass „Du“, „Billy“ und die kleinen Preise zusammengehören.
Natürlich duze ich mich auch im beruflichen Umfeld mit einer ganzen Reihe von Menschen. Wichtigste Voraussetzung ist dabei für mich, dass ich die Person tatsächlich kenne. Das geht aber offenbar nicht allen so. „Hallo Ihr Lieben“ – mit diesen Worten begann eine Einladung zu einem Info-Abend für eine Coaching-Ausbildung, die mir kürzlich ins Postfach flatterte. Mal abgesehen davon, dass ich schon eine Coaching-Ausbildung absolviert habe und bereits als Coach tätig bin – habe ich bei diesem Angebot eher an Bauchtanz oder an Wünschelruten-Training gedacht. Coaching ist ein ernsthaftes Business, bei dem es gerade auch um einen sensiblen Umgang mit Nähe und Distanz geht. Dazu sollte auch die Ausschreibung stimmig sein, dann wirkt sie professionell.
Ebenfalls mit „liebe Astrid“ war die Anfrage einer renommierten PR-Agentur überschrieben, die mich als Stilberaterin für eine Veranstaltung buchen wollte. Unterschrieben war die Mail mit einem Kosenamen. Wer macht Geschäfte mit „Mausi“? Ich nicht! Dafür habe ich nicht meine Konzepte entwickelt, wie Frauen im Beruf ernstgenommen werden.
Gefragt sind Empathie und Fingerspitzengefühl
Fazit: Auch wenn duzen jetzt total „hip“ ist und sich Normen tatsächlich verschieben, gibt es ein paar NoGos. Wildfremde Menschen im Geschäftsleben zu duzen ist ein Schuss, der leicht nach hinten losgehen kann, denn Sie wissen noch nicht, mit wem Sie es zu tun haben – und was diese Person mit Ihrem freundlich gemeinten „Du“ so alles assoziiert. Sobald Sie jemandem gegenüberstehen und in direktem Kontakt sind, können Sie hier viel besser einschätzen, welche Ansprache passt und welche nicht. Vorsicht und Einfühlungsvermögen sind hier angesagt. Die sehr junge Aushilfe in meinem Lieblings-Weinhandel hat kürzlich gezeigt, wie das (fast) gelingen kann: Zuerst hat Sie mich munter geduzt, dann – während ihre Worte immer leiser wurden – nachdenklich mein Gesicht studiert. Daraufhin hat sie tief Luft geholt und den in der zweiten Person Singular begonnenen Satz nochmal ganz neu angesetzt, jetzt mit „Sie“. Ich nehme an, sie hat in der Zwischenzeit meine Falten gezählt …
Chance für einen eigenen Stil
Die neue Regellosigkeit ist also gar nicht „easy“, sondern sogar anstrengender als die klaren Normen der Vergangenheit. Sie fordert uns viel ab an Achtsamkeit, Empathie und Fingerspitzengefühl. Andererseits bietet sie jedem einzelnen jedoch einen großartigen Freiraum, sich zu positionieren und einen persönlichen Stil, eine Art individuelle Corporate Identity zu entwickeln. Fragen Sie sich: Wer bin ich? Wie will ich wirken? Bei wem möchte ich einen positiven Eindruck machen? Und was will ich in einer bestimmten Situation erreichen? Daraus ergibt sich der Umgang mit Du oder Sie. Ein Coaching kann helfen, hier eine stimmige eigene Position zu finden. Wichtig: Tue es nicht aus Versehen oder weil es alle machen, sondern tun Sie es bewusst!
Du oder Sie? – Teil 1: Neulich im Hotel
Du oder Sie? – Teil 3: Arbeitsplatz ist anders!
Du oder Sie? – Teil 4: Nähe und Distanz
Foto: shutterstock
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