„Wenn ein Mann beim Vorstellungsgespräch sagt ‚klar, kann ich alles!‘, weiß ich, dass der lügt. Wenn eine Frau beim Vorstellungsgespräch sagt ‚Äh … ich weiß nicht, diese Anforderungen erfülle wahrscheinlich nicht so ganz …‘, lügt sie auch.“ Diesen Erfahrungsschatz teilte kürzlich ein Unternehmer mit mir bei einem vertraulichen Small-Talk. Dieses Statement ist so salopp wie zutreffend! Es bringt etwas Wichtiges auf den Punkt: Frauen und Männer kommunizieren unterschiedlich und das hat sogar Auswirkungen auf die Selbstwahrnehmung. Für ein erfolgreiches Recruiting und eine erfolgreiche Mitarbeiter*innenführung ist es hilfreich, diese Unterschiede zu kennen und gegebenenfalls darauf eingehen zu können.
Der wichtigste Unterschied: Männer kommunizieren eher wettbewerbsorientiert, Frauen hingegen eher beziehungsorientiert. Was heißt das? Stark vereinfacht: Männer kommunizieren, um ihre Position zu behaupten, Frauen, um Beziehungen aufzubauen. Männer neigen dazu, sich lange Redezeiten zu sichern, „notfalls“ indem sie andere unterbrechen, und sie greifen andere Gesprächsteilnehmer gerne mal sportlich an. Frauen bemühen sich eher um eine gute Atmosphäre, wollen niemandem auf die Füße treten, geben oft Rückversicherung und Bestätigung. Überspitzt gesagt: Für Männer ist jede Besprechung eine Gelegenheit, als Gewinner vom Platz zu gehen. Für Frauen eine Gelegenheit, Bindungen zu stärken. Logischerweise fällt es Männern da leichter, selbstbewusst etwas zu behaupten, was (noch) nicht ganz stimmt. Und Frauen haben gelernt, ihr Licht eher etwas unter den Scheffel zu stellen, um Konflikte zu vermeiden.
Studien belegen Unterschiede in der Kommunikation
Was ich hier so kurz und pointiert zusammengefasst habe, ist das Ergebnis zahlreicher sprachwissenschaftlicher und psychologischer Studien von den 70ger Jahren an bis heute. Grundsätzlich hat sich im Kommunikationsverhalten von Frauen und Männern in den letzten 50 Jahren nicht viel geändert: Die Unterschiede nehmen zwar langsam ein wenig ab, bestehen aber in den Grundzügen unverändert weiter. Allerdings geht es dabei immer nur um Tendenzen, natürlich gibt es bei beiden Geschlechtern auch jede Menge Ausnahmen!
Was bedeutet aber das tendenziell unterschiedliche Kommunikationsverhalten nun für das Recruiting und die Führung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern? Worauf müssen Sie als Führungskraft gefasst sein?
Der beziehungsorientierte weibliche Stil mit der einhergehenden bescheidenen Selbstdarstellung kann dazu führen, dass Frauen mit ihrem durchaus vorhandenen Ehrgeiz und Leistungswillen nicht wahrgenommen werden. Dazu passt ein Teil-Ergebnis der neuen „Vermächtnis-Studie“ von Die Zeit und infas: Frauen wird von allen Seiten der Gesellschaft unterstellt, weniger Interesse am Beruf zu haben. Im schlimmsten Fall wirkt die einschränkende sprachliche Darstellung eigener Kompetenzen und Erfolge sogar negativ zurück auf die Selbstwahrnehmung: Die Frau glaubt selbst nicht mehr an die eigenen Fähigkeiten. Wenn sie bei einer Mitarbeiterin die beschriebene Verhaltensweise wahrnehmen, geht es für Sie als Führunskraft darum, Kompetenzen und Leistungswillen hinter der konsensorientierten Fassade zu entdecken. Die Kompetenzen, die Sie dann entdeckt haben, sollten Sie immer wieder in Gesprächen benennen. Getreu dem Prinzip: Steter Tropfen höhlt den Sebstzweifel!
Männer fühlen sich durch ihr erlerntes Rollenverhalten vielleicht gedrängt, ihre Projekte besser darzustellen als sie tatsächlich laufen. Das ist weder gut für das Projekt, noch für den Mann, der dadurch selbst unter Stress gerät. Hier ist es für sie als Führungskraft von existenzieller Bedeutung herauszufinden, wie der Hase tatsächlich läuft. Denn am Ende verantwortlich sind Sie!
Schlaue Fragen fördern die Gleichstellung
Die Lösung für beide Situationen: Stellen Sie offene Fragen! Geben Sie sich nicht mit Behauptungen wie „Das Projekt läuft!“ oder „Für diese Aufgabe habe ich nicht genug Know-how“ abspeisen. Lassen Sie sich die Geschichte dazu erzählen! Die bekommen Sie zu hören, wenn Sie so fragen „Wie haben Sie die Projektsteuerung organisiert? Welche Schritte sind mit welchem Ergebnis schon bewältigt? Wie sind die Rückmeldungen der Partner?“ Oder im anderen Fall: „Was glauben Sie, welche Kompetenzen man für diese Aufgabe braucht?“ oder „Erzählen Sie mir von den Kompetenzen, die Sie einbringen können!“ oder „Was würde passieren, wenn Sie die Aufgabe einfach angehen?“
Auf diese Fragen müssen Mitarbeiterin oder Mitarbeiter auspacken und „Stoff“ liefern. Das ist der Einstieg in ein Wahrheitsfindungs-Gespräch, das die Punkte offenlegt, wo Sie als Führungskraft am besten mit Ihrer Unterstützung ansetzen.
Das ist tatsächlich eine Beobachtung, die schon Dr. John Gray “Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus” in seinen Büchern festgestellt hat. Männer sind erfolgs- und sachorientiert in ihrer Sprache, Frauen beziehungsorientiert. Im privaten Bereich führt das oft zu Verstimmungen und Missverständnissen, wenn der Mann einer Gesprächspartnerin logische Lösungen anbietet, während diese nur ein Verständnis-Gespräch sucht. Frauen sind manchmal zu verständnisvoll, was im Beruf Nachteile haben kann. In der psychologischen Praxis coachen wir deshalb auch das Kommunikationsverhalten im beruflichen sowie im privaten Bereich, um hier durch gegenseitiges Verstehen flexibler und klarer zu werden. Die tief verwurzelte Rolle der Frau als fürsorgliche Kraft und die des Mannes als Kämpfer und Verteidiger ist eine naturgegebene Veranlagung, und als moderne Menschen bemühen wir uns um gleichwertigen Austausch. Schön, liebe Astrid, dass Sie dieses Thema auch im Personalwesen integrieren, viel Erfolg! Ingrid Vallieres