Sie sprechen leise? Breite ausladende Gesten bereiten Ihnen Unbehagen? Stattdessen fahren Sie sich immer wieder unkontrolliert durch die Haare? Sie haben keine Lust, eine neue Stimmlage zu trainieren, um andere Menschen besser beeindrucken zu können? Blickkontakt zum Publikum aufzubauen finden sie auch schwierig? Aber in Konfliktgesprächen werden Sie schon mal emotional? Alles falsch, alles schlecht! Sie wissen schon: Laut und deutlich, mit gut modellierter Stimme und ruhigen, raumgreifenden Gesten sollten Sie eine Präsentation halten. Und in Konfliktgesprächen immer schön sachliche Ich-Botschaften senden. so wäre es richtig. Es ist erwiesen, dass die zuletzt genannten Stilmittel eine positive, zielführende Wirkung in der Kommunikation haben. Sie überzeugen allerdings nur, wenn sie auch echt wirken. Und da wird es spannend!
Authentizität gewinnt!
Dazu hatte ich vor einiger Zeit ein Schlüsselerlebnis. Bei einer Veranstaltung mit offiziellem Charakter – Unternehmensvertreter sollten motiviert werden, sich um eine Auszeichnung zu bewerben – traten zwei Redner auf, ein Mann und eine Frau. Die Frau war zuerst dran und hat alles richtig gemacht: Sie ist vorne vor das Rednerpult getreten, hat einen breitbeinigen, stabilen Stand eingenommen, große, klare Gesten wohldosiert eingesetzt und klar und deutlich auswendig (!) gesprochen – mit perfekt an den richtigen Stellen platzierten Pausen. Der männliche Redner hingegen ist hinter das Pult getreten (die Ablagefläche kam ihm gelegen für seine Unterlagen, auf die er ab und zu einen Blick warf) und hat dem Publikum von da aus einfach erzählt, was er zu sagen hatte. Dabei hat er uns angeschaut und natürlich ab und zu auch mal die Hände bewegt. Gesprochen hat er einfach wie jemand, der im Kreis von vertrauten Menschen über seine Arbeit spricht.
Wem konnte ich besser zuhören? Dem zweiten Redner! Warum nicht der Rednerin, die doch alles richtig gemacht hatte? Die Gesten und Betonungen wirkten auf mich einstudiert, aufgesetzt, schablonenhaft. Der ganze Vortrag schien nicht von ihr selbst zu kommen. Deshalb habe ich auch den Inhalt als weniger interessant und weniger glaubwürdig empfunden. Möglicherweise war die Dame so sehr von der Aufgabe absorbiert, das einstudierte Programm abzuspulen, dass sie keine Gehirnkapazitäten mehr frei hatte, um eine innere Verbindung zu ihrem Thema aufzubauen.
Einstudiertes Verhalten wird intuitiv erkannt
Was nicht echt ist, sondern aufgesetzte Attitüde, bemerken wir intuitiv. Das könnte daran liegen, dass zum Beispiel einstudierte Gesten mit einer kleinen Verzögerung ausgeführt werden – nachdem die dazugehörigen Worte schon verklungen sind, wie die Linguistin Prof. Cornelia Müller herausgefunden hat.
Und warum konnte ich dem anderen Redner so gut zuhören? Seine Kommunikation schien sich aus einer inneren Mitte heraus zu entwickeln. Seine Motivation war der Inhalt, seine Botschaft. Wie sein Auftreten wirkt, schien ihm eher unwichtig zu sein. Kurz: Der Auftritt war authentisch! Das ist glaubwürdig und das fesselt. Übrigens: Wer sich hin und wieder über gängige Regeln hinwegsetzt, um sich selbst treu zu bleiben, wirkt stark und souverän. Das ist die Meta-Botschaft jenseits der Rhetorik. Allerdings stößt das Sich-Selber-Treu-Bleiben bei Redeauftritten auch an seine Grenzen: Wenn Sie zum Beispiel das Gefühl haben, dass Sie Ihre Persönlichkeit verbiegen müssen, um bei einer Keynote Ihre Zuhörer anzuschauen, sollten Sie vielleicht besser gar keinen Vortrag halten. Nehmen Sie in dem Fall lieber einen Podcast auf!
Finden Sie Ihren eigenen Stil!
Die eine oder andere Grundregel sollten Sie bei einem Redeauftritt also schon einhalten. Daneben gibt es aber noch viel Raum für einen persönlichen Stil, Ihre ganz individuelle Selbstpräsentation. Mein Ratschlag: Finden Sie Ihren Kommunikationsstil, indem Sie diejenigen von den „guten“ Stilmittel anwenden, die Ihnen sowieso liegen. Und bleiben Sie bei sich und Ihrem Anliegen, dann wirken Sie authentisch und überzeugend! Und anderen fällt es leicht, Ihnen zuzuhören. Konzentrieren Sie sich auf das, was Sie wirklich sagen wollen!
Foto: Unsplash/Product School
Ein spannender Beitrag – und toll geschrieben!
Ich kann die Auffassung voll unterstützen, dass der eigene Auftritt immer stimmig zur Persönlichkeit ablaufen sollte…
Es geht letztlich auch immer um die innere Haltung, die dann nach außen die Wirkung macht!
Daher nur Mut sich auch mit seiner eigenen inneren Haltung zu beschäftigen: was stärkt, was hemmt, durch was wird es leicht(er)?
Stimmige Grüße
Verena Arnhold
Geschäftsführung, Institut Rhetorica